Auch wenn der Pflegeregress mit Anfang dieses Jahres abgeschafft wurde und der Staat somit bei Unterbringung in einer staatlichen Pflegeeinrichtung nicht mehr auf das Privatvermögen zugreifen kann, hat die private Pflegevorsorge keinesfalls an Bedeutung verloren. Ganz im Gegenteil.
Mit Jahresbeginn wurde der Pflegeregress abgeschafft – was einen Rattenschwanz von Problemen nach sich zieht. Die private Pflegevorsorge ist – einmal mehr – die sehr konkrete Antwort auf ein kompliziertes Problem.
Ein Blick in die pflegerische Praxis in Österreich zeigt nämlich, dass hierzulande mehr als 80 Prozent der Pflegebedürftigen zuhause betreut werden. Konkret werden rund 50 Prozent der Pflegegeldbezieher von ihren Familien gepflegt, weitere rund 30 Prozent erhalten Pflegeleistungen durch mobile Dienste oder im Rahmen der 24-Stunden-Betreuung (Quelle: FORBA Forschungsbericht 1/2017).
Umfragen zeigen immer wieder, dass die meisten Menschen wünschen, im Pflegefall weiterhin in ihren eigenen vier Wänden betreut zu werden. So ergab eine vom Market-Institut durchgeführte Studie, dass für rund 70 Prozent der Österreicher die häusliche Pflege die ideale Form der Pflegebetreuung darstellt. 20 Prozent können sich ein Leben in betreuten Einrichtungen vorstellen. Nur neun Prozent denken bei dieser Frage an ein Pflegeheim.
Ganz deutlich zeigt sich also der Wunsch nach einer Pflegebetreuung im eigenen Heim. Gerade in niedrigeren Pflegestufen (z.B. Pflegestufe 3) werden aber die Kosten für die Pflege und medizinische Maßnahmen die staatlichen Leistungen überschreiten. Hier bietet eine private Pflegerente die Möglichkeit, die Pflegesituation so zu gestalten, wie man sie sich wünscht.
Kosten nicht unterschätzen
Kein Zugriff des Staates mehr auf Privatvermögen von Pflegebedürftigen und Angehörigen zur Finanzierung von Pflegeheimkosten klingt zunächst „gefällig“. Dass die Bundesländer die Kosten, auf denen sie nun mit dem Regressverbot sitzen bleiben, vom Bund refundiert verlangen, kam wie das Amen im Gebet. Für die Bürger heißt das: Pflege wird nach wie vor sehr teuer sein – und höchstwahrscheinlich werden sie zur Kasse gebeten werden.
Wer sich jetzt zurücklehnt und sagt: „Das betrifft mich nicht“, sollte zweierlei bedenken: Erstens kann man von Pflegebedürftigkeit schneller betroffen sein als man glaubt (genau wie beim unterschätzten Risiko der Berufsunfähigkeit).
Und zweitens, wenn man sich zwar selbst geschützt fühlt, so ist man nicht davor gefeit, dass Pflegebedürftigkeit im Angehörigenkreis auftritt. Und da schlägt die Demographie unbarmherzig zu.
Laut Statistik Austria wird es in zwei Jahren in Österreich mehr als 1,2 Millionen 65- bis 79-Jährige geben, im Jahr 2030 gar mehr als 1,5 Millionen. Dazu kommen 2020 noch fast eine halbe Million „Betagte und Hochbetagte“, also 80-Jährige und Ältere. Und diese Gruppe wächst bis 2030 auf 640.000 an.
Großes demografisches „Potenzial“ für Pflegebedarf
Das heißt, allein in diesen beiden Bevölkerungsgruppen schlummert ein „Potenzial“ für Pflegebedarf von 1,7 Millionen Österreichern (in zwei Jahren) bis 2,1 Millionen Personen im Jahr 2030. Da ist die Wahrscheinlichkeit sehr groß, dass man direkt und/oder indirekt betroffen wird. Noch dazu zeigt die unbarmherzige Statistik, dass jeder vierte Österreicher in der Pension zumindest Pflegestufe-4-bedürftig wird.
Die hehre Regierungsabsicht, das Pflegegeld ab Stufe 4 zu erhöhen, ist nur ein Tropfen auf den heißen Stein. Denn für Pflegestufe 4 aufwärts beträgt das Pflegegeld derzeit 678 bis maximal 1.689 Euro (für die höchste Pflegestufe 7) monatlich. Die effektiven Kosten für den Pflegeaufwand können aber deutlich höher liegen, wenn man entsprechende Quantität und Qualität will bzw. braucht. Kosten von bis zu 4.500 Euro monatlich sind durchaus üblich.
Deshalb griffen schon bisher Pflegeeinrichtungen neben dem Pflegegeld auch auf die Pension und das Grundbuch zu. Und wenn absehbar mehr Pflegefälle für Pflegeheime angemeldet werden, können – gemäß Angebot und Nachfrage – Platzangebot und Kosten noch problematischer werden. Auch die Kosten für Pflege in den eigenen vier Wänden sind nicht zu unterschätzen; Rund-um-die-Uhr-Betreuung ist nicht billig.
Wer also eine finanzielle „Pflegelücke“ vermeiden will, sollte sich daher rechtzeitig versicherungsmäßig um Vorsorge kümmern.
Pflegevorhaben im Regierungsprogramm
An und für sich klingt das ja ganz gut: „Nachhaltige Qualitätssteigerung bei Pflege und Betreuung“ – so lautet die Überschrift eines Kapitels im neuen Regierungsprogramm. Darin sind 24 Einzelmaßnahmen aufgelistet, die noch in dieser Legislaturperiode verwirklicht werden sollen.
So heißt es etwa im Vorhaben: „Die Finanzierung von Gesundheit, Vorsorge und Pflege bedarf einer gesamtheitlichen Betrachtung.“ Dies ist eine Aussage, der wohl jeder zustimmen kann.
Auch die konkrete Ansage „Erhöhung des Pflegegeldes ab Pflegestufe 4“ klingt interessant. Aber, was den „ganz großen Brocken“ betrifft, wird im Regierungsprogramm schon etwas schwammig formuliert. Wirklich komplex wird es nämlich erst, wenn es ans Werk geht – und das große Versprechen „Ausarbeitung eines Konzepts zur langfristigen Finanzierung der Pflege“ angegangen wird.
Nein: angegangen werden muss. Aktuell wirft die Abschaffung des Pflegeregresses nämlich mehr Fragen auf, als sie beantwortet.